Samstag/Sontag 24./25. April 1999
BILDUNG UND BERUF Süddeutsche Zeitung Seite V1/1 Das
Rädchen als treibende Kraft
Charles Savage und Elisabeth Sundrum über das Management der fünften Generation
und die Bedeutung jedes einzelnen Mitarbeiters
Sprengen Sie alte Strukturen. Zerreißen Sie ihr Organigramm. Taten sprechen lauter als
Worte. Charles Savage, Forscher, Autor und Unternehmensberater, gehört zu den Anhängern
von flachen Hierarchien, horizontaler Kommunikation und eigenverantwortlichem Engagement.
Nur wenn die Unternehmen mit der Basis zusammenarbeiten, könnten sie den Sprung vom
Industriezeitalter ins Zeitalter des Wissens schaffen. Am 29. April referiert er in
München im Rahmen des Kongress "Qualifizieren statt Entlassen."
Photos: Stephan Rumpf (2)
DIE FIRMEN DENKEN ZU KURTZFRISTIG, so der Trendforscher Charles Savage und seine
Kollegin Elisabeth Sundrum. "Sie beschäftigen sich ständig mit der Optimierung
ihrer Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten oder drehen an der Kostenschraube. Dabei
vergessen sie, eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung zu etablieren." Eines
Morgens hatte Frank Giardelli, Vorstand bei Custom Products and Ser-vices, eine Idee: Er
stellte sich vor seine Führungskräfte und zerriß das Organi-gramm. Statt Hierarchie
sollte fortan Dialog die bestimmende Organisations-form sein. Charles Savage,
Wissenschaft-ler und Präsident der Knowledge Era En-terprises, einer Unternehmensberatung
in Framingham, Massachussetts, schil-dert in seinem Buch Fifth Generation Ma-nagement die
Konversation, die Giardel-li wegen dieser Maßnahme mit seinen Topmanagern zu führen
hatte, um damit seine eigene These zu erklären: Wir benö-tigen für das Wissenszeitalter
eine neue Organisationsstruktur in den Unterneh-men. Es macht keinen Sinn, mit den
Sy-stemen des industriellen Zeitalters zu operieren, sie passen nicht mehr. Vor al-lem
weil sie den Menschen falsch bewer-ten: Im heranbrechenden Zeitalter wird der Mensch als
Wesen mit Gefühlen, Kreativität und sozialen Bedürfnissen ge-sehen und gebraucht. Er
ist nicht mehr nur oder primär ein Teil eines mechani-schen Apparates. Er ist nicht mehr
Räd-chen in einem tayloristischen Wirt-schaftssystem. Verlangt wird, daß er ei-nen Blick
für das Ganze gewinnt, damit er das Ganze versteht. Voraussetzung: Mißtrauenskulturen,
intensive Kontroll-mechanismen müssen ersetzt werden durch Vertrauen und Wertschätzung,
durch das Zulassen von Fehlern und die Fähigkeit, daraus zu lernen. Fragen müs-sen
wertvoller sein als Feststellungen, weil sie zum Erkunden und Entdecken anregen. Die
Unternehmen müssen er-kennen, wie wichtig das "tacit knowled-ge", das geheime
Wissen ist: Intuition, Kreativität und Emotion. Fähigkeiten, die bislang zurückgehalten
wurden, weil sie entweder nicht gefragt waren oder ihr Besitzer fürchtete, sich damit zu
expo-nieren, ausgelacht zu werden.
Savage ist nicht der erste, der sich Ge-danken darüber macht, was das Zeital-ter des
Wissens für unsere Wirtschaft be-deutet. Peter Senge, Arie de Geus, Mathi-as Horx, John
Hormann - sie alle appel-lieren an die Unternehmen. Nur wenn die Führungskräfte mit der
Basis zusam-menarbeiten, schaffen sie den Sprung vom Industriezeitalter ins Zeitalter des
Wissens. Am 29. April wird Savage im Rahmen des Münchner Kongresses "Qua-lifizieren
statt Entlassen" über seine Ar-beitberichten. Mit ihm und seiner Kolle-gin Elisabeth
Sundrum, Vizepräsidentin von Knowledge Era Enterprises, sprach Hans- Herbert Holzamer.
SZ: Herr Savage, sind Sie der neue Heils-bringer aus Amerika?
Savage: Nein, ich versuche nur zusam-men mit Unternehmen folgende Fragen zu
beantworten: Wie können wir ein Kli-ma des Vertrauens und der Offenheit schaffen? Wie
können wir die individuel-len Stärken unserer Mitarbeiter nutzen? Wie gelingt es uns,
Verantwortungswil-len und Lernbereitschaft sicherzustel-len?
SZ: Sind diese Fragen für Unternehmen denn essentiell?
Savage: Wir leben in einer Zeit, die eine globale Wissensvernetzung, schnelle
Wis-sensbereitstellung und intuitive Ent-scheidungen fordert. Von Seiten der
Computertechnologie wäre das kein Problem. Verschiedene Abteilungen können an einem
Projekt gleichzeitig arbeiten. Konstruktionsingenieure, Fertigungsingenieure und
Marketing-Spezialisten prüfen gleichzeitig dieselbe Zeichnung, Prozeßpläne und
Marktprojekte, auch wenn sie räumlich und geographisch weit voneinander entfernt sind.
Genauso ist eine effektive Zusammenarbeit zwi-schen verschiedenen Unternehmen aber auch
zwischen Unternehmen und Kun-den, zwischen Kunden und Lieferanten möglich. Zum Beispiel
kann ein japani-sches Konstruktionsbüro in Indien ein-heimische Ingenieure beauftragen,
be-stimmte Komponenten zu bauen. Über E-Mail und Internet können Alternati-ven zu
Konstruktionszeichungen, Prozeß-plänen und Marketingstrategien disku-tiert werden. Doch
unsere Organisations-form ist noch nicht so weit. Sie verhin-dert, daß wir die Kraft
dieser Technolo-gie wirklich erkennen und effektiv aus-nutzen.
Sundrum: Die meisten Unternehmen sind stark hierarchisch strukturiert. Je-der
übernimmt eng begrenzte, sich gegen-seitig ausschließende Verantwortungsbe-reiche.
Konstruktionsabteilung, Ferti-gungsabteilung, Kundendienst, Finanz-abteilung - sie wissen
nichts voneinan-der. Sie wollen nichts voneinander wissen. Sie mißtrauen sich. Auch die
Unter-nehmensleitung macht da keine Ausnah-me. Jeder arbeitet, plant, koordiniert für
sich. Um ein Problem zu lösen, müssen Kleinimperien durchlaufen werden. Das kostet Zeit
und Geld.
Savage: Hinzu kommt, daß viele Mitar-beiter das Gefühl haben, Katastrophen-management
zu betreiben, Feuer zu lö-schen, Kleinkram zu erledigen und An-weisungen zu befolgen.
Dadurch geht viel tacit knowledge verloren: individuel-le Lernerfahrungen, Einsichten,
Kreati-vität, Intuition, Emotion.
SZ: Sie beraten in den USA unter ande-rem die Firmen ABB, Dow und Electro-lux. Wie
bereiten sie diese Unternehmen auf die Zukunft vor?
Savage: Ich sage den Firmen immer: Wir müssen unsere Werte, Einstellung und Auffassung
zu Führungsstil, Arbeit und Zeit überdenken. Wir müssen uns selbst kennenlernen -
unsere Visionen, unser Wissen, unsere Gedanken und Gefühle. Management der fünften
Generation ist eine Frage des Führungsstils. Es geht nicht um die eigenen
Machtbefugnisse, sondern darum, wie wir miteinander ar-beiten und umgehen müssen, um
gemein-sam ein Ziel zu erreichen. Dazu bedarf es eines integrativen Umfelds, in das
Mitar-beiter und Unternehmen ihre besten Fä-higkeiten einbringen.
Sundrum: Echte Integration ist ein konti-nuierlicher, zerbrechlicher Prozeß.
Aus-schlaggebend sind weniger die Qualität der gewählten Computersysteme, als viel-mehr
die Werte des Unternehmens und die Integrität seiner Mitarbeiter. Bei der ständig
wechselnden Zusammensetzung funktionsübergreifender Teams sind ge-genseitige Achtung,
Vertrauen und Ehr-lichkeit von entscheidender Bedeutung.
Savage: Viele Manager kontrollieren je-doch ihre Mitarbeiter und schotten sich nach
unten hin ab. Sie wählen nur Mitar-beiter aus, die auf keinen Fall stärker sind als sie.
Oder sie halten sie klein. Die Folge: Die Mitarbeiter verstummen, schieben Dienst nach
Vorschrift. Ohne vertrauensvollen Umgang, ohne gegen-seitige Wertschätzung wird es jedoch
kaum gelingen, Mitarbeiter zu Wissens-vernetzung zu motivieren, echte Teams zu bilden, mit
den Kunden strategische Allianzen und mit den Wettbewerbern Partnerschaften einzugehen.
SZ: Peter Ducker, Peter Senge, Hans Jür-gen Warnecke - sie alle schreiben über
Network Organisation, Learning Organi-sation, fraktale Unternehmen. Allen An-sätzen
liegen vier wesentliche Gedanken zugrunde: dienende Führung, horizonta-le Kommunikation,
selbststeurnde Teams und Vertrauen in die Fähigkeiten und Absichten der Mitarbeiter. Aber
die Firmen tragen dem doch heute weniger Rechnung als je zuvor. Die Stichworte
Te-leworking oder Ego-Company zeigen, daß von dem Mitarbeiter verlangt wird, sich selbst
um alles zu kümmern. Er muß für seine Arbeitsmarktfähigkeit sorgen, sich
qualifizieren, er bekommt keinen fe-sten Büroplatz mehr. Von Integration kann kaum die
Rede sein. Führt das Wis-senszeitalter nicht genau in die andere Richtung?
Savage: Nur wenn wir es zulassen. Die Gefahr, daß die Technologie uns überwäl-tigt,
ist immer gegenwärtig. Was wir be-nötigen, ist ein Dialog zwischen den Mit-arbeitern,
den Führungskräften, den Un-ternehmen. In Deutschland haben wir in zwei Unternehmen eine
Dialogkultur aufgebaut. Erfolgreich. Wir müssen eine Gemeinschaftsstruktur schaffen,
damit die Mitarbeiter - ganz gleich ob sie im Haupthaus, in einer Zweigstelle oder zu
Hause sitzen - in einer authentischen Ge-meinschaft ihr Fundament haben.
Sundrum: Man hätte annehmen können, daß das Informationszeitalter zur
Ent-menschlichung der Unternehmen führt. Daß die Automatisierung dazu führt, daß nur
noch einige Spitzenführungs-kräfte in ihren Kommando- und Kon-trollzentralen sitzen und
mit Hilfe eini-ger weniger Experten die alltäglichen Be-triebsabläufe steuern. Das war
vor eini-gen Jahren auch meine Befürchtung. Doch heute ist klar, daß es die Menschen
sind, die einer Organisation zu Flexibili-tät, Agilität und Kreativität verhelfen.
SZ: Der Mensch als wichtigste Ressour-ce? Mal ehrlich: Nur wenige Unterneh-men haben
das erkannt.
Sundrum: Auf Dauer wird ihnen nichts anderes übrigbleiben. Jedes Unterneh-men hat vier
Lebenszyklen: Aufbau, Kon-solidierung, Neuorientierung, Konsoli-dierung. Oder wenn dies
nicht gelingt, Untergang. Das gilt auch für Gesellschaf- ten. Hochkulturen sind zugrunde
gegan-gen, weil die herrschende Klasse den Kontakt zur Masse verloren hat. Das hat sich
zuletzt in Osteuropa gezeigt.
SZ: Über Werte, Gefühle, Visionen zu re-den, bedeutet, sich zu öffnen. Viele haben
aber Angst, sich dadurch angreifbar, ver-letzbar zu machen
Savage: Wenn wir zu intellektuellem Kapital gelangen wollen, müssen wir die innere
Beziehung zwischen dem Wissen und den Werten verstehen. Wenn ich Dich nicht wertschätze,
werde ich nie Zugang zu Deinem Wissen haben. Das System der Vergangenheit war darauf
angelegt. Dich abzuwerten, um Dich auszuschalten. Wenn ich mich Dir öffne, entdecke, was
Du weiß, dann entsteht Energie, dann können wir gemeinsam kreativ werden, ko-kreativ.
Was wir versuchen, ist unsere Klienten in einen regulären Dialog mit ihren Mitarbeitern,
Kunden und Lieferanten zu führen, um sie die Energie fühlen zu lassen, die aus diesen
Unterhaltungen entsteht. Wir müssen mit Energie arbeiten und nicht mit Macht.
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Das 47. Müchner Expertengespräch der Hanns Seidel Stiftung "Qualifizieren statt
Entlassen" findet am 29. April im europäischen Patentamt statt. Information und
Anmeldung unter der Telephon-nummer 089-1258-242.
Literatur: Charles Savage, Fifth Generation Management, Vdf Hochschulverlag AG an der
ETH Zürich, ISBN 3728121738; das Book Café hat die englische Ausgabe in Auszügen ins
Netz gestellt: www.kee-inc.com |